Und immer noch die Solo-Selbständigen, Nr. 04

Sogenannte Hilfsprogramme …

Vorbemerkung: Der Kultur/Kreativsektor ist von der „Corona-Krise“ besonders betroffen – auch, weil seine Strukturen und Beschäftigungsformen in vielfacher Hinsicht atypisch sind. Als kleines Expertenteam wollen wir den Blick für diese Zusammenhänge schärfen und der Öffentlichkeit, der Politik und den Medien zuverlässige Daten zur Verfügung stellen – und damit Hinweise für eine realistische und effektivere Gestaltung der „Hilfsprogramme“.

Stichworte: Mit den wachsenden „Hilfsprogrammen“ wachsen paradoxerweise auch die Schwierigkeiten. Und das nicht nur in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Soforthilfe, Überbrückungshilfe I, II, III, Neustarthilfe usw. wachsen einem über den Kopf. Spätestens jetzt braucht man definitiv einen Steuerberater, um nicht doch in eine Kriminalitätsfalle zu stolpern.

Aus Pressemitteilung des Bundesfinanzministerium (BMF) vom 13.11.2020
„Mehr Hilfe für Solo-Selbständige und die Kultur- und Veranstaltungsbranche“.
„Neustarthilfe – Besondere Unterstützung für Soloselbständige
Die Überbrückungshilfe III wird erhebliche Verbesserungen für Soloselbständige bringen. Betroffene, zum Beispiel aus dem Kunst- und Kulturbereich, sollen künftig eine einmalige Betriebskostenpauschale von bis zu 5.000 Euro für den Zeitraum bis Ende Juni 2021 als steuerbaren Zuschuss erhalten können. Dazu wird die bisherige Erstattung von Fixkosten ergänzt um eine einmalige Betriebskostenpauschale (Neustarthilfe). Damit können Soloselbständige, die im Rahmen der Überbrückungshilfen III sonst keine Fixkosten geltend machen können, aber dennoch hohe Umsatzeinbrüche hinnehmen mussten, einmalig 25 Prozent des Umsatzes des entsprechenden Vorkrisenzeitraums 2019 erhalten. Die Neustarthilfe ist aufgrund ihrer Zweckbindung nicht auf Leistungen der Grundsicherung u.ä. anzurechnen.“
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2020/11/2020-11-13-mehr-hilfe-fuer-soloselbstaendige-kultur-und-veranstaltungsbranche.html

Wir haben nun berechnet, welche Entschädigungssummen aus der „Neustarthilfe“ von einmaligen höchstens 5.000 Euro für die Solo-Selbständigen in ausgewählten Branchen der Kultur- und Veranstaltungshilfe zu erwarten wären.

In Deutschland waren im Jahr 2019 schätzungsweise knapp 123.000 Künstler/innen und Autoren als Solo-Selbständige und Selbständige tätig. Im Durchschnitt erwirtschafteten die Künstler/innen und Autoren im Jahr 2019 einen Jahresumsatz von rund 37.000 Euro. Legt man den Referenzwert von 20.000 Euro Jahresumsatz zugrunde, den das BMF in der PM vom 13.11.2020 in einer Beispieltabelle angegeben hat, dann müsste ein Großteil der Künstler/innen und Autoren von der Neustarthilfe eine substanzielle Unterstützung erhalten können.

Die folgende Modellrechnung für die Gruppe der Künstler/innen und Autoren zeigt hingegen, dass die Neustarthilfe wahrscheinlich nur für einen ganz kleinen Kreis der Künstler/innen und Autoren eine Hilfe sein kann.

Für die meisten Künstler/innen und Autoren wird die Neustarthilfe möglicherweise nicht viel einbringen – das gilt wahrscheinlich sowohl für die ganz „kleinen“ wie für die „großen“ Selbständigen.

Abb. 1: Modellrechnung der Neustarthilfe für die Monate Dezember 2020 bis Juni 2021
für die Gruppe der Künstler/innen und Autoren

Hinweise: Die Gruppe der Künstler/innen und Autoren umfassen die selbständigen Komponistinnen und Komponisten, Musikbearbeiterinnen und Musikbearbeiter, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, bildende Künstlerinnen und Künstler, Restauratorinnen und Restauratoren sowie die Journalistinnen und Journalisten, Pressefotografinnen und Pressefotografen. (*) Schätzung der Steuerpflichtigen und ihrer durchschnittlichen Umsätze auf der Basis der Jahre 2016-2018.  (**) Referenzwert entspricht dem siebenmonatigen Umsatz des Jahresumsatzes 2019.  (***) Neustarthilfe entspricht dem 25-%-Anteil des Referenzumsatzes. Der Monatsbetrag bildet die Summe ab, die einem Selbständigen pro Monat im Durchschnitt als Entschädigung zur Verfügung steht. Diese Entschädigungssumme wird nur unter der Voraussetzung gewährt, dass der Selbständige mindestens 51% seines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit erzielt. Außerdem muss ein Umsatzrückgang von mindestens 50% im Jahr 2020 vorliegen.  (****) Der Schwellenwert gibt laut Pressemitteilung des BMF vom 13.11.2020 die Grenze an bis zu welchem Referenzumsatz die maximale Neustarthilfe gilt. K.A. = Keine Angabe.
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnung Michael Söndermann/Büro für Kulturwirtschaftsforschung, Köln, November 2020

In der Gruppe der rund 63.200 Solo-Selbständigen mit einem Umsatz von unter 17.500 Euro pro Jahr liegt der Durchschnittsumsatz bei 5.630 Euro. Viele Künstler/innen und Autoren ergänzen in der Realität diesen Durchschnittsumsatz durch andere Einkünfte. Oftmals sind diese ergänzenden Einkünfte höher als die aus selbständiger Tätigkeit erzielten Einkünfte. Sobald jedoch die selbständigen Einkünfte nicht 51% an allen Einkünften erreichen, fallen die Künstler/innen und Autoren durch den Rost. Schätzungsweise die Hälfte bis Zweidrittel der rund 63.200 „kleinen“ Solo-Selbständigen wird aus diesem Grund vermutlich keine Neustarthilfe beantragen können.

Für die mittlere Gruppe der rund 33.300 Solo-Selbständigen mit Jahresumsätzen von 17.500 bis 50.000 Euro wird im Jahr 2019 durchschnittlich ein geschätzter Jahresumsatz von 30.549 Euro angenommen. Sofern sie die 51%-Regel der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit erfüllen und einen mindesten 50%igen Umsatzeinbruch haben, können sie für bisher sieben geplante Monate von Dezember 2020 bis Juni 2021 durchschnittlich einen monatlichen Entschädigungsbetrag von 636 Euro erhalten, maximal allerdings nur bis 714 Euro pro Monat. Ob ein Großteil der 33.300 Künstler/innen und Autoren ihr Geschäftsmodell mit Hilfe dieser Unterstützung bis zur Jahresmitte retten kann?

Für die Gruppe der rund 13.900 Solo-Selbständigen ab 50.000 Euro Jahresumsatz und der „großen“, rund 12.300 Solo-Selbständigen ab 100.000 Jahresumsatz wird die Neustarthilfe nicht mehr sein können, als ein Tropfen auf einem heißen Stein. Denn sie erhalten unabhängig von der Größe ihres Jahresumsatzes immer nur die maximalen 5.000 Euro insgesamt für sieben Monate oder umgerechnet 714 Euro im Monat. Auch hier bleibt die Frage, wie lange sie einen mindestens 50%igen Umsatzeinbruch durchhalten können. Wie viele von ihnen werden wohl in die Insolvenz gehen müssen?

Diese Modellrechnung ist in ähnlicher Form auch auf andere gefährdete Branchen übertragbar, wie zum Beispiel auf die Gruppe der medizinischen Zusatzberufe, etwa die Physiotherapie, Krankengymnastik, Masseure, Hebammen, Heilpraktiker, Psychotherapie, Kinderpsychotherapie, Ergotherapie, Sprachtherapie (Logopädie), medizinische Fußpflege (Podologie) u.ä. In dieser Gruppe arbeiteten 2019 schätzungsweise rund 125.000 als Selbständige, darunter rund 57.000 Selbständige mit weniger als 17.500 Euro Jahresumsatz. Wie viele von ihnen werden die nächste Zeit überstehen?

In der Gastronomie arbeiteten im Jahr 2019 schätzungsweise rund 240.000 Selbständige und Unternehmen, darunter immerhin 40.000 mit einem Jahresumsatz von 17.500 Euro und weniger.

Die Zahlen weisen einmal mehr auf die atypischen Rahmenbedingungen in der Kultur/Kreativwirtschaft hin, die so oder ähnlich für viele andere Branchen des Dienstleistungssektors gelten. Es wird immer mehr deutlich, dass dies bei allen unterstützenden Maßnahmen berücksichtigt werden muss, damit eine Gleichbehandlung aller Branchen durch die Politik gewährleistet werden kann.

Für das Expertenteam,
Michael Söndermann, Büro für Kulturwirtschaftsforschung, Köln

Hintergrundinformation:
Künstlerische und kreative Berufe in der Coronakrise 2020, Nr. 01
https://kulturwirtschaft.de/kuenstlerische-und-kreative-berufe-in-der-coronakrise-2020/

Und ein P.S.:
Helge Schneider versandte am 29.10.2020 über twitter.com einen sehr realistischen Brandbrief an Olaf Scholz. Zur Erinnerung sei er hier noch einmal wiedergegeben: https://twitter.com/helgenews/status/1321775746810056709

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.