2017 Internationales wissenschaftliches Panel zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Selbstverständnis und Zukunftsperspektiven aus Sicht ausgewählter europäischer Länder
Berlin, 7. Dezember 2017
im Bundesministrium für Wirtschaft und Energie
(Invalidenstrasse 48, 10115 Berlin)
Vorbemerkung
Am 7. Dezember 2017 trafen sich in Berlin nahezu 80 Wissenschaftler, Beamte aus der Bundesverwaltung sowie aus Landesverwaltungen, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und kreativer Kompetenzzentren sowie Interessierte beim internationalen wissenschaftlichen Panel zur Kultur- und Kreativwirtschaft.
Eingeladen hatte Michael Söndermann gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bzw. der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung.
Die Wertschätzung für die Anwesenden wurde deutlich in den Grußworten der Ministerialdirigentin Dr. Daniela Brönstrup vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und des Ministerialdirigenten Dr. Jan Ole Püschel von der Beauftragten für Kultur und Medien bei der Bundesregierung (BKM) zu Beginn der Veranstaltung.
Als Referenten konnten Experten aus vier europäischen Ländern gewonnen werden, die über das Selbstverständnis und den aktuellen Stand der Kultur- und Kreativwirtschaft in ihren Ländern informierten. Nach der großen Resonanz auf die BMWi-Konferenz 2014 (Oktober 2014, Berlin) sowie auf die letztjährige Konferenz an gleicher Stelle war es für die Teilnehmer interessant zu verfolgen, welche Schwerpunkte die Referentinnen und Referenten in diesem Jahr setzten. Auf dieser Fachkonferenz ging es darum, die Positionen und Perspektiven unserer Nachbarländer Frankreich, Schweden und Österreich kennenzulernen.
Ein Ergebnis dieser Fachkonferenz war die Einsicht zahlreicher Experten in die Notwendigkeit des regelmäßigen Austauschs über Landesgrenzen hinaus. Des Weiteren wurde wiederum deutlich, dass die spezielle Struktur der Branche Kultur- und Kreativwirtschaft genaue Analysen erfordert, damit die Besonderheit ihrer Angebote und ihrer Akteure eingegrenzt und erfasst werden kann. Nur dann lassen sich Perspektiven entwickeln, die zukunftsfähig sind.
Ergebnisse des wissenschaftlichen Panels
Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist eine noch junge Wirtschaftsbranche, die in hohem Maße Tradition und Erneuerung in sich vereint. Die Kultur- und Kreativwirtschaft steht bereits heute für eine Wirtschaftsbranche, die mit ihrer Differenziertheit, den zahlreichen höchst unterschiedlich agierenden Akteuren, der Breite und Besonderheit ihrer Angebote und den vielfältigen Querschnittseffekten zukunftsweisend ist. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist etwas Besonderes. In diesem Sinne waren sich die geladenen Referent*innen und die Teilnehmer*innen einig und konnten somit von einem gemeinsamen Rahmen ausgehen.
Wie kam es zum Thema dieses wissenschaftlichen Panels?
Bereits auf der BMWi-Konferenz 2014 (Oktober 2014, Berlin) war das grundsätzliche Selbstverständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft eines der Themen. Nunmehr ging es darum, konkrete Positionen und Perspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft in unseren Nachbarländern Frankreich, Schweden und Österreich kennenzulernen. Diese drei Länder haben neben zahlreichen Gemeinsamkeiten auch unterschiedliche Perspektiven und Sichtweisen. Diese zu kennen, ist Voraussetzung für das gegenseitiges Verständnis und die eigene Weiterentwicklung.
Alle drei Länder sind auf ihre Art exzeptionelle Beispiele:
Die Bedeutung Frankreichs
Frankreich ist das europäische Land mit der längsten Tradition in Bezug auf das Thema Kulturwirtschaft. Das Kulturministerium hat sich bereits in den 70er Jahren dem Thema Kultur und Wirtschaft zugewandt, weil es die gesellschaftlichen Verschiebungen von der öffentlichen Kultur (Theater, Museen, Bibliotheken) hin zur marktwirtschaftlichen Kultur (Musikindustrie, Buchmarkt oder Filmwirtschaft) als gesellschafts- und kulturpolitische Aufgabe thematisiert hat. In diesem Kontext ist die Strategie der „kulturellen Ausnahme“ entstanden, weltweit wurde dieser Ansatz dann in der WTO-Debatte[1] aufgegriffen. Zur Förderung der Film-, TV- und Videoindustrie wurde Anfang der 80er Jahre ein Kreditwirtschaftsfonds (IFCIC) eingerichtet, der zahlreiche Kleinst- und Kleinunternehmen in der Film- und Kulturwirtschaft mit Krediten versorgt hat. Dieses Modell IFCIC wird jetzt – fast 40 Jahre danach – auf der EU-Ebene wahrgenommen und als eines der Exzellenzmodelle gewürdigt. In den Diskussionen auf europäischer Ebene hat das französische Kulturministerium regelmäßig die inhaltlichen Fragen zur Kultur- und Kreativwirtschaft prägen können.
Frankreich ist in seiner Fähigkeit, gesellschaftspolitische Analysen zur Grundlage politischen Handels in der Kultur- und Kreativwirtschaft zu entwickeln, immer exzeptionell gewesen und wird deshalb von vielen Ländern in Europa bewundert.
Die Bedeutung Schwedens
Schweden wurde ausgewählt, weil dieses Land in europäischen Ländervergleichen zur wirtschaftlichen Relevanz der Kultur- und Kreativwirtschaft regelmäßig in der Spitzengruppe rangiert. Deshalb ist es von grundsätzlichem Interesse zu erfahren, welche Strategien dazu geführt haben, dass die schwedische Kultur- und Kreativwirtschaft an empirischen Maßstäben gemessen so stark ist. Schweden hat über lange Jahre eine Idee der „Experience Industry“ verfolgt, die die Kultur-/
Kreativbranchen nur ungefähr mit einbezog. Erst in den letzten Jahren fand der Begriff „Kultur- und Kreativwirtschaft“ Eingang in regierungsnahe Organisationen (Tillväxtverket). Es ist daher wertvoll zu erfahren, welche Antriebskräfte die schwedische Politik für die Kultur- und Kreativwirtschaft entwickeln konnte, ohne dafür ein fundiertes Selbstverständniskonzept zu benötigen.
Beispielhaft ist Schweden durch die Tatsache, dass die schwedische Kultur- und Kreativwirtschaft sich europaweit und international sehr erfolgreich positionieren konnte (siehe z.B. den Swedish Music Export). Durch diese international erfolgreiche Ausrichtung ist Schweden für Deutschland ein wertvoller Vergleichsmaßstab.
Die Bedeutung Österreichs
Österreich hat im Unterschied zu Deutschland erst spät mit der Debatte um die Kultur- und Kreativwirtschaft begonnen: In Deutschland gibt es die Kulturwirtschaftsberichte (KWB) bereits seit dem Jahr 1989, in Österreich erschien der erste dieser Berichte im Jahr 2003. Mittlerweile hat Österreich den 7. KWB vorgelegt, der jeweils als umfangreiches Analysewerk entworfen wird und strategische Fragen behandelt. Durch die systematische Beobachtung der Diskussion in anderen europäischen Ländern und innerhalb der EU-Kommission kann Österreich heute als führendes Land in der theoretischen und fachpolitischen Debatte in Europa angesehen werden. Ein österreichisches Forschungsinstitut konnte den derzeit aktuellsten EU-Bericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft vorlegen (Boosting the competitiveness of cultural and creative industries for growth and jobs, 2016).
Österreich hat ähnlich wie Frankreich, aber in einem völlig anderen Kontext, konzeptionelle Grundlagenarbeit geleistet. Dies führt regelmäßig zu strategischen Programmen, in die auch Fördermöglichkeiten der EU-Kommission einbezogen werden. Aktuell wird ein zweistelliger Millionenbetrag (im Vierjahreszeitraum) für Innovationen in der Kultur- und Kreativwirtschaft vom Wirtschaftsministerium Österreichs bereitgestellt. Dadurch erfährt die Kultur- und Kreativwirtschaftsbranche eine besondere Stärkung, aber auch wirtschaftspolitische Wertschätzung seitens der österreichischen Bundesregierung.
Österreich hat sich stets aktiv mit den europäischen Positionen und Programmen auseinandergesetzt. Im Unterschied zur deutschen Initiative stützt sich die österreichische Kultur- und Kreativwirtschaft mittlerweile ausschließlich auf das Wirtschaftsministerium.[2] Diese eindeutige Bindung ergibt sich aus der grundsätzlichen Orientierung an der Innovationspolitik: denn Kreativwirtschaft wird als Teil der Innovation verstanden, gilt als Innovationstreiber und stimuliert andere Branchen der österreichischen Volkswirtschaft. Diese Strategie ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der österreichischen Innovationspolitik geworden.
Die Präsentationen der vier Länderexperten
Die Präsentation der vier Positionen erfolgte durch Experten der Kultur- und Kreativwirtschaft der jeweiligen Länder. Ihnen waren im Vorfeld einige Fragestellungen übermittelt worden, die zum besseren Verständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft unserer Nachbarländer beitragen sollten. Stichpunkte waren:
- ihr historisches Selbstverständnis, die landestypischen Konzepte,
- die aktuellen Merkmale, die heutige Lage ihrer Kultur- und Kreativwirtschaft,
- ihre mittelfristigen Strategien und Maßnahmen.
Das französische Selbstverständnis
(Link zur Frankreich PPT-Präsentation)
Die französische Position wurde von Frau Prof. Dr. Françoise Benhamou präsentiert. Françoise Benhamou ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Sorbonne in Paris und eine weltweit anerkannte Expertin für Kulturökonomie. Sie war Präsidentin der Association for Cultural Economics International, der führenden globalen Vereinigung für Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Kultur und Kulturwirtschaft. Ihr Standardwerk L’économie de la culture wird derzeit in der 8. Auflage publiziert. Neben ihrem Standing in der Wirtschaftspolitik genießt sie auch in der Kulturpolitik höchstes Ansehen – sie ist regelmäßig als Beraterin für das französische Kulturministerium und für das globale UNESCO-Institut für Statistik gefragt.
Frau Benhamou betonte eingangs die starke Tradition des politischen Engagements für Kunst und Kultur in Frankreich. Die derzeitige Disruption in der Kultur- und Kreativwirtschaft sei ein schwerwiegendes Problem und erfordere eine neue Ausrichtung der Kulturpolitik.
Sie berichtete, dass der Kultursektor mit den verschiedenen Kulturbranchen, wie AV-Industrie mit Film und Rundfunk, Buch- und Presseverlage, Architektur, kulturelles Erbe, Musik, darstellende und bildende Kunst, in Frankreich seit 1995 hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Relevanz gemessen wird. Aktuell (2015) erreicht der Kultursektor einen Wertschöpfungsbeitrag von rund 43 Mrd. Euro oder einen prozentualen Anteil am gesamten BIP von 2,21%. Im Langzeitvergleich über einen 20jährigen Zeitraum ist zunächst ein konstanter Anstieg der kulturellen Wertschöpfung bis 2003 (Anteilswert 2,54%) gelungen, seitdem jedoch sinkt der Anteilswert konstant. Die Kulturbranchen in Frankreich müssen daher seit über zehn Jahren einen ständigen wirtschaftlichen Rückgang hinnehmen.
Einige Gründe für den wirtschaftlichen Abschwung können genannt werden:
- Zusammenbruch des Musikmarkts,
- Veränderungen im Buch- und Pressemarkt,
- ökonomische Krise (2008/2009),
- Abschöpfen der Wertschöpfung durch digitale Plattformen wie Apple, Google, Amazon oder Facebook (GAFA),
- Wertminderung durch Umwandlung analoger in digitale Produkte und Dienste.
Dem gegenüber steht eine wachsende Wertschätzung der ökonomischen Wirkung durch Kultur. Das französische Finanzministerium und das französische Kulturministerium schätzen die direkten, indirekten und durch Kultur induzierten wirtschaftlichen Aktivitäten auf mittlerweile 104 Milliarden Euro Wertschöpfung. Das entspricht 6% des BIP[1].
Bei der Beschreibung der aktuellen Probleme betonte Frau Benhamou, die Disruption der Kultur- und Kreativwirtschaft habe großen Schaden erzeugt. So zerstöre beispielsweise die Digitalisierung bestehende Geschäftsmodelle der Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Angebotsseite in verschiedener Weise:
- Mit der Ausweitung der Angebote hin zu unbegrenzten Angeboten.
- Durch das neue Phänomen Co-Creation: Nutzer und Kunden beteiligen sich plötzlich an der Wertschöpfung kreativer Güter.
- Durch neue große Player, die in den Wertschöpfungsketten der Kultur- und Kreativwirtschaft auftreten.
- Mit dem Abschöpfen der Wertschöpfung durch digitale Plattformen wie Apple, Google, Amazon oder Facebook.
Aber auch auf der Nachfrageseite wirke die Digitalisierung in verschiedener Weise zerstörerisch auf die Geschäftsmodelle der Kultur- und Kreativwirtschaft, z. B.
- durch die Segmentierung des Publikums,
- durch das Nomadentum der Verbraucher,
- mit dem Ende des Eigentumsrechtes durch Streaming (statt Downloading),
- durch die Long-tail-Effekte für Nischenprodukte.
Auf diese Weise entstünden neue Wettbewerbsbedingungen. Frau Benhamou sprach in diesem Zusammenhang von Disintermediation. Ursprünglich bezeichne dies ein Konzept aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften, das allgemein den Wegfall einzelner Stufen der Wertschöpfungskette beschreibt. Disintermediation beschreibe also einen Bedeutungsverlust von „Intermediären“ (Vermittlern zwischen verschiedenen Akteuren) in einem Wirtschaftssystem, Stichwort „Uberization“.
Das Fazit von Frau Benhamou lautete: die Digitalisierung hat einen großen Schaden in der Kultur- und Kreativwirtschaft angerichtet. Sie sieht eine Aufgabe des französischen Wirtschaftsministeriums darin, eine Politik gegen die GAFA zu entwickeln und einen Urheberrechtsschutz in ganz Europa zu etablieren.
Frau Benhamou beantwortete die Frage nach den Konsequenzen für die Kulturpolitik mit einem Rückblick und Vorschlägen für die Zukunft.
Zunächst blickte sie auf die traditionellen Säulen der Kulturpolitik in Frankreich, da gab es:
- die „kulturelle Ausnahme“ vor allem für die AV-Industrie (Film, Video, Rundfunk),
- die Unterstützung durch Subventionen und Steuererleichterungen,
- die Besteuerung von TK-Dienstleistungen und AV-Dienstleistungen,
- die Schutzmaßnahmen für bestimmte Produkte (Buchpreisbindung etc.),
- die Demokratisierung, damit ist hier ein erleichterter Zugang zu kulturellen Einrichtungen und/oder Aktivitäten gemeint.
Nun müssten neue Grundlagen geschaffen werden.
Als Beispiel hierfür nannte Frau Benhamou das Ankurbeln der Nachfrage mit dem Pass Culture, also die Einführung eines „Kulturpasses“. Dieses System soll in Form einer Anwendung (App) für alle Interessierten angeboten werden. Darüber hinaus hält es für junge Erwachsene, die 18Jährigen, einen Einstiegsbonus von rund 500 Euro bereit. Er soll es ihnen ermöglichen, ab September 2018 diese 500 Euro für kulturelle Aktivitäten wie den Kauf von Büchern oder den Kauf von Karten für Theater, Kino oder Konzerte zu verwenden. Mit dieser Idee soll die Politik des Kulturministeriums weitergeführt werden, Kultur für alle anzubieten und für alle zugänglich zu machen. Die Finanzierung soll „von Distributoren und großen digitalen Plattformen“ geleistet werden. Für alle anderen ist die App zugänglich und bietet Zugang zum Online-Angebot. Sie soll insbesondere über alle kulturellen Angebote in der Nähe informieren: beispielsweise, wo man ein Buch kaufen kann, wo man Hip-Hop-Musik hören, wo man tanzen oder ein Theater finden kann. Sie soll wie ein GPS der Kultur sein.
Als weitere Anregungen für die Kulturpolitik in Frankreich nannte Frau Benhamou:
- die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen und damit die kulturelle Bildung stärken,
- den Zugang zum Internet für alle anstreben,
- die Unterstützung der Städtepolitik in den Vorortstädten (Banlieues),
- neue Formen der Finanzierung von Kultur, wie z. B. Public Private Partnerships, Stiftungen, Crowdfunding, Lotteriemittel,
- die Modernisierung von Bibliotheken fördern,
- Subventionen für die Musikindustrie vergeben,
- neue Regulierung der audiovisuellen Dienste entwickeln,
- eine geeignete Politik gegenüber GAFA auf europäischer Ebene entwickeln,
- Urheberrechtsschutz in Europa.
Der schwedische Pragmatismus
(Link zur Schweden PPT-Präsentation)
Herr Klas Rabe hat die Position der Kultur- und Kreativwirtschaft in Schweden präsentiert. Er ist Direktor für Kultur- und Kreativwirtschaft in der Schwedischen Agentur für wirtschaftliche und regionale Entwicklung. Als schwedischer Experte ist er regelmäßig in europäischen Gremien tätig und ein exzellenter Kenner der europäischen Fachdebatte. Gleichwohl ist Herr Rabe der Praxis sehr verbunden und insofern ein überzeugender Vertreter Schwedens.
Wenn es um das Unternehmens- oder Beschäftigungspotenzial in der Kultur- und Kreativwirtschaft geht, steht Schweden regelmäßig an der Spitze aller EU-Staaten – so zuletzt wieder im aktuellen Monitoring der EU-Kommission zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Die starke Position der schwedischen Kultur- und Kreativwirtschaft in europäischen Rankings verblüfft nicht zuletzt deshalb, weil noch recht wenig über das schwedische Selbstverständnis der Kultur- und Kreativwirtschaft bekannt ist. Braucht die Kultur- und Kreativwirtschaft in Schweden etwa gar kein Selbstverständnis, um ökonomisch erfolgreich zu sein?
Zu Beginn seiner Präsentation betonte Herr Rabe, dass er von der letztjährigen Konferenz im BMWi (September 2016), an der er teilgenommen hatte, enorm profitiert habe. Zwischenzeitlich wurde in Schweden eine landesweite Statistik zur Kultur- und Kreativwirtschaft vorgelegt, die eine gültige Definition voraussetzte. Bei diesen Prozessen waren Methoden und Studien förderlich, die in der Konferenz des vergangenen Jahres an dieser Stelle vorgestellt wurden. Herr Rabe beschrieb das besondere Verhältnis von Ministerien und Behörden in Schweden: die Ministerien, in denen die politischen Strategien festgelegt werden, seien relativ klein. Die Behörden, die mit der Umsetzung dieser Strategien beauftragt sind, seien hingegen vergleichsweise groß.
Das Selbstverständnis der schwedischen Kultur- und Kreativwirtschaft stellte Herr Rabe beispielhaft an der Problematik Terminologie versus Selbstverständnis der Künstler und Kreativen dar: von der Erlebnisindustrie zur Kultur- und Kreativwirtschaft.
Als Vertreter seiner Behörde, des schwedischen Amtes für Wirtschaftswachstum und Regionalförderung, hat er die dort durchgeführte größte Untersuchung zu Unternehmen in Schweden begleitet. Die Ergebnisse der Befragung von Zehntausenden von Unternehmen wurden in vier übergreifende Gebiete unterteilt:
- die Märkte der Unternehmen,
- die Innovationstätigkeit,
- der Wachstumswille und
- Wachstumshindernisse für die Unternehmen.
Eine Sonderauswertung dieser Untersuchung erbrachte unter anderem folgende Befunde:
Die Wachstumsbereitschaft war bei allen untersuchten Unternehmen nahezu gleich. Bei der Innovationstätigkeit lagen die Kultur- und Kreativunternehmen im Bereich innovativer Dienstleistungen vorne. Dies korreliert mit der Bereitschaft zu Kooperationen. Die Antworten auf die Frage nach der Einschätzung der Märkte durch die Unternehmen zeigten einen großen Unterschied zu den Kultur- und Kreativunternehmen. Während die meisten Unternehmen in lokalen Märkten tätig sind, bedienen die Kultur- und Kreativunternehmen den nationalen und internationalen Markt. Als Wachstumshindernisse wurden ein Mangel an Ressourcen und fehlende Kontakte auf internationaler Ebene identifiziert. Bei näherer Betrachtung der Wachstumshindernisse ergaben sich für alle Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft Probleme beim Export, Bedarf für ein forciertes öffentliches Herangehen an das Urheberrecht und der Mangel an Finanzierungslösungen.
Lösungsstrategien der Behörde sind unter anderem Unterstützung bei internationalen Kontakten, Förderung von branchenübergreifenden Kooperationen und eine neue Exportstrategie, die den neu gegründeten Dachverband der Kultur- und Kreativwirtschaft, den „Kreativ Sektor“, zum verantwortlichen Leiter für eine Koordinationsbestrebung in der Exportstrategie ernannt hat.
Angestrebt werden zukünftig eine stärkere Berücksichtigung der Kleinteiligkeit der Unternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und eine Wirtschaftsförderung, die sich den geänderten Bedingungen mehr als bisher anpasst.
Die österreichische Stringenz
(Link zur Österreich PPT-Präsentation)
Frau Dr. Gertraud Leimüller ist stellvertretende Vorsitzende der Kreativwirtschaft Austria in der Wirtschaftskammer Österreich. Dort hat sie lange Jahre als erste Vorsitzende maßgeblich dazu beigetragen, die Kreativwirtschaft Austria zu dem zu machen, was sie heute ist: die zentrale Plattform für Kreativwirtschaft in Österreich. Von 2006 bis 2013 hat sie wesentlich an der Integration der österreichischen Kreativwirtschaft in die Innovationspolitik und an der Entwicklung von Instrumenten für die Kooperationsförderung mit der Kreativwirtschaft mitgewirkt. Diese beiden Schlüsselbegriffe haben ihre Arbeit immer begleitet.
Auf europäischer Ebene war sie als Expertin Mitglied der European Creative Industries Alliance (2012–2014) und des EU Expert Panels Services Innovation (2010–2011). Ebenso regelmäßig beriet sie die Generaldirektion Unternehmen und Industrie der EU-Kommission. Es kann also kaum verwundern, dass Österreich eine derart differenziert ausgestaltete Kreativwirtschaftspolitik entwickelt hat.
Frau Leimüller berichtete, im Jahr 2003 wurde mit dem 1. Kreativwirtschaftsbericht (KWB) eine systematische Berichterstattung zur Kreativwirtschaft im 2jährigen Rhythmus aufgebaut, inzwischen liegt der 7. KWB vor. Im Verlauf hat sich das Selbstverständnis des Konzepts Kreativwirtschaft von einer mehr kulturpolitischen stärker zu einer wirtschaftspolitischen Sichtweise verschoben. Im ersten KWB wurde der Begriff Kreativwirtschaft noch stark nach kulturstatistischen Gliederungsmerkmalen definiert: neben den privatwirtschaftlichen zählten auch die gemeinnützigen und öffentlichen Kulturaktivitäten zum Feld der Kreativwirtschaft. Die ökonomische Bedeutung des Kunst- und Kultursektors stand im Zentrum, folglich waren das Kultur- und Bildungsministerium, das Kunststaatssekretariat und zuletzt das Wirtschaftsministerium Träger der Berichterstattung.
Diese Sichtweise hat sich ab dem 3. KWB zu der Frage hin verschoben, welche Innovationen die Kreativwirtschaft für andere Wirtschaftsbranchen in Österreich auslösen kann. Nun waren folglich nicht mehr das Kulturministerium und das Kunstsekretariat beteiligt, sondern jetzt wurden die Berichte vom Wirtschaftsministerium und der Wirtschaftskammer Österreich getragen. Im Zentrum stand nun die Frage, wie durch Crossover ein Mehrwert für andere Branchen ausgelöst werden kann.
Drei Charakteristika sind nach Frau Leimüller für die Kreativwirtschaft Österreichs von besonderer Bedeutung: Vernetzung/Kooperation, Internationalität und Innovation.
Zusätzlich haben sich im Verlaufe der Erforschung durch die Berichte weitere Merkmale herausgeschält:
- Die Branche hat sich in der Krise als widerstandsfähig erwiesen.
- Sie kann flexibel auf konjunkturelle und strukturelle Veränderungen reagieren.
- Sie hat eine starke Technologieaffinität.
- Und sie ist in besonderem Maße kundenorientiert.
Mit der Kreativwirtschaftsstrategie 2016 liegt ein mittelfristiges Programm vor, das folgende Ziele verfolgt:
- Stärkung des österreichischen Innovationssystems
- Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kreativwirtschaft
- Stärkung der transformativen Wirkung der Kreativwirtschaft auf andere Wirtschaftsbranchen
- Stärkung des internationalen Bildes Österreichs als kreatives Kultur- und Innovationsland
Es wurde ein Programm entwickelt, das sich in drei Säulen untergliedert, Empowerment, Transformation und Innovation, mit Handlungsfeldern und Maßnahmen.
Aus deutscher Sicht ist besonders das Innovationsthema von Interesse, weil die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland oftmals noch nicht als selbstverständlicher Akteur der Innovationspolitik anerkannt und gefördert wird.
Die österreichische Strategie beruht auf folgender Sichtweise: Die Innovationskraft der Kreativwirtschaft ist essenziell für Wirtschaft und Gesellschaft, um die vielfältigen Veränderungen und Umbrüche gestalten und in positiver Weise bewältigen zu können. Dabei ist die Verwendung eines breiten Innovationsbegriffs, der auch nicht-technologische und nicht-F&E-basierte Innovation umfasst (z.B. Design-driven Innovation, Geschäftsmodell-Innovation), von großer Bedeutung. Dies gilt sowohl für die Wirtschaft als auch für die öffentliche Verwaltung und betrifft insbesondere die Gestaltung von Förderprogrammen, welche wesentliche Anreize enthalten müssen, damit kreativwirtschaftsbasierte Innovation am Markt verstärkt nachgefragt, entwickelt und umgesetzt wird.
Es sind jedoch auch die Kreativunternehmen selbst gefordert, sich intensiver mit den Innovationsprozessen in Kundenunternehmen sowie mit dem breiten Spektrum der Innovationsmethoden (Open Innovation, Citizen Science u.a.) auseinanderzusetzen. Nur dann können sie ihr Know-how gezielt in Innovationspartnerschaften und Co-Creation-Prozesse einbringen und Kundinnen und Kunden im Innovationsbereich professionell unterstützen.
Um Innovationsräume für Kreative zugänglich zu machen, wird generell eine große Chance in der räumlichen Nähe zwischen Kreativschaffenden und anderen Akteurinnen und Akteuren im Innovationssystem als günstig erachtet, um Co-Creation-Effekte zu erzeugen und neue Partnerschaften zu initiieren. In den letzten Jahren entstanden weltweit viele unterschiedliche Typen von Innovations- und Experimentierräumen (von Fablabs bis hin zu Inkubatoren). Ob temporär oder permanent, digital oder physisch ausgerichtet, eines haben diese Labs gemeinsam: Sie bieten einen Ort, wo sich Menschen vertrauensvoll treffen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln, zu testen und zu realisieren.
Zukünftig soll die Innovationsförderung im Bereich der Kreativwirtschaft fortgesetzt und ausgebaut werden. Um das Innovationspotenzial der Kreativwirtschaft gezielt zu stärken, sollen die spezifischen Förderprogramme für kreativwirtschaftsbasierte Innovation fortgesetzt und weiterentwickelt werden.
Neben einer Vielzahl an Service-, Vernetzungs- und bewusstseinsbildenden Maßnahmen rund um den Themenbereich Kreativwirtschaft werden im Rahmen der Kreativwirtschaftsstrategie für Österreich auf Bundesebene folgende kreativwirtschaftsbasierte Innovationsvorhaben finanziell unterstützt:
aws impulse XS/aws impulse XL:
Fehlende Finanzierung und das damit verbundene wirtschaftliche Risiko stellen eine wesentliche Barriere bei der Entwicklung neuer, innovativer Produkte und Dienstleistungen dar. Die beiden Förderprogramme für kreativwirtschaftsbasierte Innovation, aws impulse XL und aws impulse XS, zielen darauf ab, dieses Risiko zu senken.
aws impulse XS bietet monetäre Unterstützung für Projekte und first-mover-Aktivitäten in den frühen Innovationsphasen in Form eines Zuschusses von bis zu 50.000,– Euro bzw. max. 70 Prozent der Projektkosten.
aws impulse XL ist ein Zuschuss für Innovationsvorhaben in der Entwicklungs- und Überleitungsphase eines Projektes in der Höhe von bis zu 200.000,– Euro bzw. max. 50 Prozent der Projektkosten.
Auf die Ausschreibungen zu den aws-impulse-Programmen wurden im zweiten Halbjahr 2017 insgesamt 230 Projektförderanträge eingereicht. Davon wurden 34 Projekte durch unabhängige Jurys zur Förderung ausgewählt, die mit insgesamt rund 2,5 Mio. Euro gefördert werden.
aws Kreativwirtschaftsscheck:
Mit dem Kreativwirtschaftsscheck werden Innovationsprozesse in KMUs durch die Einbindung von kreativwirtschaftlichen Leistungen mit bis zu 5.000,– Euro gefördert und damit kreativwirtschaftsbasierte Innovationen angestoßen. Der Kreativwirtschaftsscheck setzt Anreize für die verstärkte Zusammenarbeit mit der Kreativwirtschaft, um so Branchengrenzen zu überwinden und neuartige Leistungen nachzufragen. Dadurch leistet er einen wichtigen Beitrag zur Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft durch die Kreativwirtschaft.
Bei der jüngsten Ausschreibung 2017 gab es 1.405 Einreichungen. Erneut konnten über 300 Schecks mit einem Gesamtvolumen von ca. 1,5 Mio. Euro vergeben werden.
Deutschland zwischen Theorie und Praxis
(Link zur Deutschland PPT-Präsentation)
Frau Dr. Simone Kimpeler ist Leiterin des Zentrums für Zukunftsforschung am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe. Sie ist Co-Autorin des Monitoringberichts Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung, der vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung verfasst wird.
Frau Kimpeler beschrieb eingangs die Grundlagen, auf denen das Selbstverständnis der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft basiert:
- die Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ (2007) und
- der Leitfaden der Abgrenzung der KKW der Wirtschaftsministerkonferenz.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird in 11 Teilbranchen untergliedert, von der Musikwirtschaft bis zur Software-/Games-Industrie. Mit dieser Branchengliederung ist eine hohe Heterogenität verbunden. Deshalb braucht es ein verbindendes Zentrum für den Branchenkomplex: das sind die Künstler und Kreativen, die den schöpferischen Kern der Teilbranchen bilden. Neu im deutschen Selbstverständnis der Branche ist: sie wird immer mehr als Innovationstreiber für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft gesehen, denn sie besitzt möglicherweise Schlüsselkompetenzen für Problemlösungen. Die aktuelle Ausrichtung des Branchenkonzeptes zielt darüber hinaus auf die Digitalisierungsprozesse und die Intensivierung der Kooperationen zwischen Kultur-/Kreativ-Unternehmen und etablierten Unternehmen aus anderen Branchen.
Rein theoretisch ist der Innovationsbegriff nach OECD (nach Oslo-Manual) auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft anwendbar, denn im sogenannten Oslo-Manual (das weltweite Handbuch für die Innovationsmessung) werden sowohl technische als auch nicht-technische Innovationen angesprochen – nicht-technische Innovationen werden oft als Soft Innovation bezeichnet.
Das Problem für die Innovationspolitik und -förderung ist, dass die Hauptmerkmale nicht-technischer Innovationen nicht messbar sind, sie können in den meisten Fällen nicht mit spezifischen, klar definierten Patenten, Produkten oder Verfahren beschrieben werden.
Dennoch nimmt die Wirtschaftspolitik an, dass durch die Kultur- und Kreativwirtschaft möglicherweise Innovationen ausgelöst werden können: Kultur- und Kreativakteure bündeln ihr Wissen, verknüpfen es auf neue Art und Weise und transferieren es in Produkte und Dienstleistungen (Content) – dies wird dann oft als Hidden Innovation oder Cross Innovation bezeichnet.
In Bezug auf einen Aspekt ist sich jedoch die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung absolut sicher:
Die Kultur- und Kreativwirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Nach dem neuen Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft (BMWi 2017) liegen für die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft folgende Fakten vor: 253.000 Unternehmen, rund 154 Milliarden Euro Umsatz, 1,6 Millionen Erwerbstätige, darunter 23% Selbständige, rund 99 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung mit einem Anteil von 3,1% am BIP.
Fazit des wissenschaftlichen Panels
Welche Schlüsse konnten die Teilnehmer*innen aus den Vorträgen der Experten*innen aus Frankreich, Österreich, Schweden und Deutschland ziehen?
Frau Benhamou (Frankreich) argumentiert dezidiert politisch und sieht die Kulturwirtschaft in einer schwierigen Umbruchphase. Traditionelle politische Strategien werden den neuen strukturellen Veränderungen nicht mehr gerecht. Neue Player wie digitale Plattformen, verändertes Nutzer- und Konsumentenverhalten bei Kulturprodukten und neue digitale Geschäftsmodelle belasten oder zerstören gar die traditionellen Wertschöpfungsbeziehungen in der Kulturwirtschaft.
Die Politik wird eine neue Strategie entwickeln müssen, die sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite stärkt. Es wird insbesondere darauf ankommen, die internationalen digitalen Plattformen in die Neugestaltung der Kulturwirtschaft einzubinden, damit der Großteil der kulturellen und kreativen Wertschöpfung wieder den einheimischen Urhebern und Produzenten zugute kommen kann und nicht einfach ins Ausland abfließt. Eine Einbindung der internationalen Plattformen kann nur im Rahmen einer europäischen Lösung geschehen, so Benhamou.
Die Idee, einen Kulturpass („Pass Culture“) ab Herbst 2018 einzuführen, den alle 18Jährigen in Frankreich in Form einer App und zusammen mit einem Startkapital von 500 Euro erhalten sollen, kann der Stärkung der Nachfrageseite in der französischen Kulturwirtschaft dienen. Damit will das federführende Kulturministerium die jungen Menschen zu einem aktiven Nutzerverhalten anregen. Auf diese Weise würden schätzungsweise rund 330 Millionen Euro zusätzlich für künstlerische Produkte, kulturelle Veranstaltungen oder kreative Dienstleistungen in Frankreich ausgegeben. Finanziert werden soll das Startkapital über eine Abgabe der Digitalwirtschaft.
Herr Rabe (Schweden) bringt eine erfrischend pragmatische Sicht in die Diskussion ein. Nach den schwedischen Erfahrungen kann es auch kontraproduktiv sein, über ein gemeinsames Selbstverständnis des Branchenkomplexes nachzudenken. Denn jede der Teilbranchen Musik, Design, Games etc. verfügt über ein eigenes dezidiertes Narrativ, welches nicht aufgegeben werden kann. In der Konsequenz wird deshalb von den schwedischen Behörden empfohlen, dass die einzelnen Teilbranchen nach kooperativen Lösungen und Wegen suchen sollten. Dies dient insbesondere dazu, in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit für die Kultur- und Kreativwirtschaft insgesamt zu erzielen. Deshalb wurden die jeweiligen Teilbranchen von den schwedischen Behörden aufgefordert, sich zu einem Dachverband „Kreativ Sektor“ zusammenzuschließen. Damit der „Kreativ Sektor“ von den Akteuren angenommen wird, wurde der Dachverband in eine Exportstrategie der schwedischen Regierung einbezogen, d. h., wer Mitglied ist, profitiert von den Exportunterstützungsmaßnahmen der Regierung.
Eine interessante Wendung vollzog Klas Rabe bei der grundsätzlichen Frage nach dem Selbstverständnis der Branche. Für die weitere Entwicklung von Kultur- und Kreativwirtschaft sei das Selbstbild der Branchenakteure nicht von vorrangiger Bedeutung. Vielmehr komme es auf das Verständnis der öffentlichen Akteure an. Öffentliche Verwaltungen und öffentliche Förderer haben oftmals ein sehr traditionelles Selbstverständnis vom künstlerischen, kulturellen und kreativen Bereich. D. h., sie zählen die Kultur- und Kreativwirtschaft noch immer eher zum nicht-produktiven oder konsumtiven Bereich. Dass dieser Branchenkomplex z. B. kulturelle oder kreative Innovationen entwickeln kann, die für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft von Bedeutung seien, löst bei vielen Wirtschaftsförderern und Unternehmensberatern noch immer Unverständnis aus. Durch die Orientierung am traditionellen Verständnis von Wirtschaftsprozessen gehe in Schweden ein großes Innovationspotenzial verloren.
Frau Leimüller (Österreich) versteht die österreichische Strategie ähnlich pragmatisch wie Schweden. Der Kern der Kreativwirtschaftsstrategie kann auf den Schlüsselbegriff Innovation konzentriert werden. Alles Selbstverständnis, alle Programmatik und alle Maßnahmen der Kreativwirtschaft werden mit dem Innovationsbegriff verknüpft. Es ist in Österreich wohl gelungen, die Wirtschaftspolitik und öffentlichen Wirtschaftsförderer davon zu überzeugen, dass die Kreativwirtschaft ein selbstverständlicher Partner oder sogar Teil der Innovationspolitik geworden ist. Die Streichung des Begriffes Kultur aus dem Titel ist nicht zufällig, denn es geht nicht mehr um kulturelle oder gar künstlerische Prozesse – das ist eine Sache der Kulturpolitik –, sondern es geht um kreative Prozesse im wirtschaftlichen Sinne – und das ist eine Sache, die wohl ausschließlich die Wirtschaftspolitik interessieren sollte.
Es scheint, dass die österreichische Wirtschaftspolitik schon weiter ist bei der Entwicklung der Kreativwirtschaft hin zu einer „Innovationswirtschaft“. Im Unterschied zur schwedischen Erfahrung war für Österreich interessant, dass weniger die Politik und die Verwaltung zu überzeugen sind als vielmehr die Kreativen selbst. „Es sind jedoch auch die Kreativunternehmen selbst gefordert, sich intensiver sowohl mit den Innovationsprozessen in Kundenunternehmen als auch mit dem breiten Spektrum der Innovationsmethoden (Open Innovation, Citizen Science u. a.) auseinanderzusetzen. Nur dann können sie ihr Know-how gezielt in Innovationspartnerschaften und Co-Creation-Prozesse einbringen und Kundinnen und Kunden im Innovationsbereich professionell unterstützen“. (Kreativwirtschaftsstrategie, 2016). Hier wird offensichtlich ein großer Sinneswandel auf Seiten der Branchenakteure eingeklagt, der für die Zukunft noch erheblich stärker profiliert werden dürfte.
Frau Kimpeler (Deutschland) geht nicht soweit, den Begriff der Kultur- und Kreativwirtschaft auf einen zentralen Schlüsselbegriff wie den der Innovation zu konzentrieren. Denn das deutsche Verständnis des Begriffs Kultur- und Kreativwirtschaft beruht nach wie vor auf den beiden Grundpfeilern der kulturellen und wirtschaftlichen Perspektive. Deshalb existiert die „Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung“ ja ausdrücklich in Form eines Tandems, bestehend aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).
Zudem sieht sie die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland mit dem Dreiklang von „Kreativität – Innovation – Digitalisierung“ umfassender abgebildet. Die Kreativität, also der „schöpferische Akt“ der Kunst-, Kultur- und Kreativproduzenten, steht immer am Anfang jeder Kultur- und Kreativwirtschaft. Die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft bilden das kreative Humankapital, deren Wissen insbesondere über neue Wege in Produkte und Dienstleistungen anderer Branchen einfließt. Frau Kimpeler betrachtet die Akteure der Kultur- und Kreativwirtschaft deshalb eher als versteckte Innovatoren („hidden innovators“), die Innovationspotenziale für andere Branchen erschließen.
Zugespitzt könnte daraus abgeleitet werden, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft weniger einen eigenen Innovationskern besitzt, sondern ihre Innovationsfähigkeit vielmehr in der Übertragung von kreativen Ideen auf andere Produkte, Dienstleistungen oder ganze Branchen besteht. Mit dieser „transformativen Innovationsfähigkeit“ kann die Kultur- und Kreativwirtschaft zukünftig eine wichtige Impulsrolle in der fortschreitenden Digitalisierung vieler Wirtschaftsbranchen einnehmen.
Anmerkungen
[1] Mit der „kulturellen Ausnahme“ sollten die kulturellen Güter und Dienstleistungen nicht in die WTO Verhandlungen zur Liberalisierung der globalen Handelsbeziehungen einbezogen werden. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen wurde die (Uruguay-Runde 1986-1994) die „kulturelle Ausnahme“ zwar nicht in den WTO- Vertrag (1995) mit aufgenommen. Aber die WTO überließ jedem Staat das Recht seine Ausnahmen selbst zu gestalten. Durch diese flexible Handhabe der WTO konnten viele Länder u.a. Ausnahmen für audiovisuelle Dienstleistungen erreichen.
[2] Die ersten zwei österreichischen Kreativwirtschaftsberichte wurden noch gemeinsam von den Bundesministerien für Wirtschaft und Kultur bzw. Kunststaatssekretariat verantwortlich getragen. Ab dem dritten Bericht war nur noch das Bundeswirtschaftsministerium ohne die Kultur vertreten.
[1] Vgl. Duriex, B., Kanzel, S. et al. (2013). L’apport de la culture a l’économie en France (Rapport)