2016 Berlin: Ergebnis der Fachkonferenz Kultur- und Kreativwirtschaft

Rund 100 Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Künstlerorganisationen trafen sich in Berlin auf der internationalen wissenschaftlichen Fachkonferenz zur Kultur- und Kreativwirtschaft.

Welche Konzepte zur Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es aktuell auf internationaler Ebene und welche Erkenntnisse kann die Fachgemeinschaft in Deutschland daraus gewinnen? Welche Ansätze bieten sich, um die eigenständige Innovationsrolle des Wirtschaftszweiges zu verdeutlichen? Und: Ist es möglich, im Rahmen kreativer Produktionsprozesse innovativ zu sein oder bleibt dies allein Technologieunternehmen überlassen?  

Diese Fragen standen bei einer internationalen Fachkonferenz im Mittelpunkt, zu der Michael Söndermann gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes  und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bzw. der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung am 23. September geladen hatte. Im Rahmen der Veranstaltung tauschten sich Regierungsorganisationen aus den USA, Künstlerorganisationen aus Paris und Wissenschaftler aus den Niederlanden und Deutschland rund um den Status Quo und die Chancen der Kultur- und Kreativwirtschaft bzw. “Creative Industries” im 21. Jahrhundert aus. Die Konferenz fand im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin statt. Rund 100 Teilnehmer*innen waren der Einladung gefolgt.

Brigitte_ZypriesBrigitte ZYPRIES (Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie)

Brigitte ZYPRIES, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, wies in ihrer Eröffnungsrede insbesondere auf das wissenschaftliche Fundament hin, das die Politik braucht. Sie warb für mehr faktenbasierte Politikberatung, die insbesondere für die Kultur- und Kreativwirtschaft eine große Bedeutung hat. Dazu gehört auch die Kenntnis dessen, was im Ausland geschieht. Zugleich verwies sie darauf, dass die Branche nicht nur selber kreativ ist, sondern darüber hinaus auch Treiber für andere Unternehmen und Branchen ist. Dazu führte sie unterschiedliche Beispiele an, wie „more than shelters“ oder die „London Design Biennale 2016“.

winands_passbild-jpgjsessionid1f52581ffbc6f085c2a9201fdce544d4-2_cid324Dr. Günter WINANDS (Ministerialdirektor und Stellvertreter der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Dr. Günter WINANDS, Ministerialdirektor und Stellvertreter der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) wies bei seiner Begrüßung auf die rasante Entwicklung durch digitale und globale Entwicklungen hin. Wie können hier Freiräume geschaffen und erhalten werden, wenn die Branchen voller Regeln sind. Es macht jedoch keinen Sinn, diese Regel nicht zu beachten, deshalb wird von den Künstlern und Kreativen mehr abverlangt als nur kreativ zu sein. Hier bietet das BKM viele Projekte zur Unterstützung an, die mehr und mehr international ausgerichtet sind, wie zum Beispiel „Touring Artists“ oder die Messe-Exportförderung für den professionellen Tanz.

Kultur- und Kreativwirtschaft als Wachstumsmotor

imag2278Bonnie NICHOLS (NEA, National Endowment for the Arts), Elizabeth COLOGER (Amt für ökonomische Analysen (BEA) des US-Handelsministeriums), Michael SOENDERMANN (Leiter für wissenschaftliche Analysen im Kompetenzzentrum für Kultur- und              ©Malte Behrmann                                                 Kreativwirtschaft des Bundes)

USA: Die internationale Sicht auf die Kultur und Kreativwirtschaft wurde in zwei Vorträgen von Expertinnen aus den Vereinigten Staaten vorgestellt. Elizabeth COLOGER vom Amt für ökonomische Analysen (BEA) des US-Handelsministeriums, und Bonnie NICHOLS von der National Endowment for the Arts (NEA), präsentierten den neuen Ansatz zur ökonomischen Bedeutung des Kunst- und Kultursektors in den USA. Damit liegt erstmals eine offizielle Position der amerikanischen Bundesregierung zur Kulturwirtschaft vor. Demnach betrachtet die amerikanische Bundesregierung den Kunst- und Kultursektor nicht mehr als unproduktive, wertschöpfungsfreie Branche, sondern im Gegenteil: der Kunst- und Kultursektor wird nun als eine langfristige Investition in die Gesellschaft gesehen. Die amerikanische Studie wurde hier erstmals außerhalb Nordamerikas vorgestellt.

Quellen: U.S. Bureau of Economic Anaylsis (2016). Arts and Culture Grow at Faster Pace as BEA Takes its First Inflation-Adjusted Look. http://www.bea.gov/newsreleases/general/acpsa/acpsa0216.pdf. National Endowment fort he Arts (2016). Arts Data Profile #9. The U.S. Arts and Cultural Production Satellite Account: 1998-2013. https://www.arts.gov/artistic-fields/research-analysis/arts-data-profiles/arts-data-profile-9/acpsa-issue-briefs

gadi-oronGadi ORON, Generalsekretär des internationalen Dachverbands der Verwertungsgesellschaften für Autoren und Musikurheber CISAC
©GEMA

 

CISAC: Selbstverständlich fanden auf der Fachkonferenz in Berlin auch die Stimmen der Urheber Gehör. Gadi ORON, Generalsekretär des internationalen Dachverbands der Verwertungsgesellschaften für Autoren und Musikurheber (CISAC, International Confederation of Societies of Authors and Composers) stellte die Studie “Kulturzeit – Die erste Weltkarte für die Kultur- und Kreativwirtschaft” vor. In der von CISAC und der Beratungsgesellschaft EY erarbeiteten Analyse wurden erstmals globale Daten zur Wirtschaftskraft aus allen Sektoren der Kultur- und Kreativbranche umfassend aufgeschlüsselt.

Quelle: CISAC (2015). Cultural Times. The First Global Map of Cultural and Creative Industries. http://www.worldcreative.org/

Kultur- und Kreativwirtschaft als Innovationsfaktor

sacha-wunsch-vincentDr. Sacha WUNSCH-VINCENT, Senior Economic Officer im WIPO und Mitherausgeber des WIPO Global Innovation Index
©WIPO

WIPO: Zu den wichtigsten internationalen Organisationen in Sachen Copyright-Industries und Kreativwirtschaft zählt die Weltorganisation für geistiges Eigentum, kurz WIPO. Sacha WUNSCH-VINCENT, Senior Economic Officer in der WIPO, stellte per Videoübertragung Genf-Berlin, den brandneuen „Global Innovation Index 2016“ und speziell den „Creative Output Subindex“ vor. Kein leichter Stoff für das Auditorium! Die WIPO zählt zu den ersten internationalen Organisationen, die die Kreativität in ihren Innovationsindex einbeziehen: ein bislang keineswegs selbstverständliches Verfahren, wenn man bedenkt wie verbreitet der Gedanke der Technologie als Kern jeder Innovation immer noch ist.

Quelle: Cornell University, INSEAD and WIPO (2016). The Global Innovation Index 2016. http://www.wipo.int/econ_stat/en/economics/gii/

christian-handkeAss. Prof. Dr. Christian HANDKE, Erasmus Universität Rotterdam

Christian HANDKE von der Erasmus Universität Rotterdam, beschäftigt sich seit langem mit der Innovationsdebatte auch in Deutschland. So hat er für das wohl wichtigste nationale Gremium hierzulande, der „Expertenkommission Forschung und Innovation“, kurz EFI, im Jahresgutachten 2015 die Kreativität im Innovationsprozess untersucht. Auf eine kurze Formel gebracht, liegt nach Handke Innovation dann vor, wenn ein Produkt/eine Dienstleistung neuartig und werthaltig ist. Neuartig ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft vieles, z. B. die zahlreichen neuen Filme, Bücher, Musikstücke, Spiele etc., die jährlich auf den Markt kommen. Kultur- und Kreativwirtschaft wäre danach eine Innovationsbranche par excellence. Aber was ist mit dem Begriff werthaltig gemeint. Traditionelle Ökonomen bezeichnen ein Produkt als werthaltig, wenn es kommerziell verwertbar ist. Herr Handke hingegen versteht unter dem Begriff ‚werthaltig‘ weitaus mehr als kommerzielle Verwertbarkeit. Bedacht werden sollte hier vor allem auch die soziale, die kulturelle, die intrinsische oder sogar auch die emotionale Werthaltigkeit. Besonders hervorzuheben ist seine wirtschaftspolitisch und nicht juristisch ausgerichtete Forschung. Davon brauchen wir in Zukunft mehr!

Quellen: EFI/Expertenkommission Forschung und Innovation (2015). Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015. http://www.e-fi.de/fileadmin/Gutachten_2015/EFI_Gutachten_2015.pdf. Handke, C.; Girard, Y.; Mattes, A. (2015). Fördert das Urheberrecht Innovation? Eine empirische Untersuchung, Studien zum deutschen Innovationssystem, Berlin: EFI. http://www.e-fi.de/fileadmin/Innovationsstudien_2015/StuDIS_16_2015.pdf

Zu allen vier Hauptthemen kamen aus dem Kreis der Podiumsgäste und auch aus dem Auditorium der Konferenz eine ganze Reihe von Impulsen und Anregungen: Die Notwendigkeit einer faktenbasierten Kultur- und Kreativwirtschaft wurde im Grundsatz von allen Konferenzteilnehmern unterstützt. Im Detail jedoch gingen die Wertungen durchaus auseinander: Während die einen den großen „Detailreichtum“ der amerikanischen Studie hervorhoben, wurde von anderen wiederum die Zahlenarbeit relativiert und mehr „sinnliche Empirie“ eingefordert. Quantitative Daten ja, aber qualitative Forschung als „Tiefenbohrung“ muss hinzukommen, sonst kommt man nicht weiter. Und wenn seit langem bereits die wirtschaftliche Dimension der Kultur und der Kreativwirtschaft im Mittelpunkt des Interesses steht, so muss jetzt auch die soziale und kulturelle Dimension des Sektors hinzukommen. Es könnte sein, dass gerade der amerikanische Ansatz hier weiterhilft, da dieser sehr stark auf die künstlerische und kulturelle Aktivität abhebt.

Die Podiumsgäste waren: Dr. Olaf ARNDT (Prognos, Bremen), Prof. Dr. Malte BEHRMANN (bbw hochschule Berlin), Dr. Florian BERGER (Technopolis Group, Frankfurt am Main), Prof. Dr. Susanne BINAS-PREISENDÖRFER (Universität Oldenburg), Dr. Cornelia DÜMCKE (Culture Concepts, Berlin), Matthias HORNSCHUH (Komponist), Prof. Dr. Michael HUTTER (Prof. emeritus Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin), Dr. Simone KIMPELER (ISI Fraunhofer, Karlsruhe), Prof. Dr. Elmar KONRAD (Hochschule Mainz), Dr. Anselm MATTES (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung/ECON), Prof. Reinhard STRÖMER (Hochschule Bremen), Prof. Dr. Andreas Joh. WIESAND (Compendium of Cultural Policies and Trends in Europe)

Prof. Dr. Gesa BIRNKRAUT (Hochschule Osnabrück) führte als Moderatorin sicher und kenntnisreich durch den Konferenztag.

Michael Söndermann, Initiator der Konferenz und Leiter für wissenschaftliche Analysen im Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, verkündete ein wichtiges Ergebnis für die weitere Kooperation mit den amerikanischen Expertinnen: Es wurde vereinbart, zukünftig jährlich zu Jahresbeginn über die amerikanische Entwicklung der Kulturwirtschaft und des Kultursektors zu berichten. Der nächste Bericht wird voraussichtlich im Februar 2017 vorliegen.

Weitere Informationsquellen unter:
www.kultur-kreativ-wirtschaft.de
kreativ-bund.de

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